Konferenzbericht erschienen
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Bericht über eine internationale Konferenz in Prag zu Fragen der Geschichtsdidaktik und einigen Problemen der Zeitgeschichte
Zum 85. Lebensjubiläum des bekannten tschechischen Historikers und langjährigen Hochschullehrers Professor PhDr. Vratislav Čapek Dr.Sc. fand im September 2008 in Prag eine internationale Konferenz statt, die sich mit Fragen der neuesten Entwicklung der Geschichtsdidaktik und Problemen der Zeitgeschichte befasste. Veranstalter war die Prager Hochschule „Vysoká škola obchodní“. Es nahmen daran über dreißig namhafte tschechische Historiker sowie eine Reihe von Hochschullehrer ausländischer Universitäten teil.
Die Konferenz verlief in drei thematischen Panels. Die erste Sektion beschäftigte sich mit den Problemen der tschechischen Geschichte, überwiegend des 19. und 20. Jahrhunderts. Während einige Referate an die Wissenschaftsdispute über wiederkehrende „klassische“ Themen anknüpften bezogen andere sich auf die Wirtschaftgeschichte während der beiden letzten Jahrhunderte und wiederum andere auf die deutsch-tschechischen Beziehungen zwischen den Weltkriegen.
Die zweite Sektion stellte quantitativ den wichtigsten Teil der Konferenz dar. Sie befasste sich mit Fragen der Geschichtsdidaktik. Dies konnte kein Zufall sein, verstand sich doch der Jubilar, Professor Čapek, in seiner wissenschaftlichen Orientierung vornehmlich als Didaktiker. Die Prager Karlsuniversität verdankt maßgeblich seinem Wirken die Etablierung dieser Disziplin als einem eigenständigen Fach. Er war es auch, der Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts in den Jahren der brüchig werdenden kommunistischen totalitären Herrschaft bzw. des „Prager Frühlings“ eine Zusammenarbeit mit dem internationalen Schulbuchinstitut in Braunschweig mit-initiierte. Nach deren zwangsweiser Unterbrechung nutzte er die erste sich bietende Gelegenheit und knüpfte bereits im Jahre 1988 durch einen Besuch am Georg-Eckert-Institut erfolgreich an diese Kooperation an. Den Eröffnungsvortrag hielt Prof. Dr. Z. Beneš von der Karlsuniversität. Er charakterisierte die Geschichtsdidaktik als eine spezielle historische Disziplin und versuchte deren herkömmliche Definition zu erweitern, indem er ihre soziale und bildungsbezogene Funktion präzisierte. Der entscheidende Wendepunkt war in seinen Augen, dass der Unterrichtsgegenstand „Geschichte“ nicht mehr als das bloß Vergangene gesehen wurde, sondern als ein durch das Prisma der Gegenwart ständig neu zu interpretierendes und zu verhandelndes historisches Geschehen, das in die Zukunft hineinwirkt und von Zukunftserwartungen gesteuert wird. Diese neue Sichtweise emanzipierte das Fach Geschichte von einem Lernfach in ein Denkfach und sprengte das ehedem auf methodische Fragen eingeengte Feld der Didaktik auf. Die Forschung beschäftigte sich fortan mit allen Wegen und Formen, die in der historischen Bildung relevant sind. Sie befasst sich mit sozialer Kommunikation und historischem Bewusstsein. .Gemäß den Worten von Zdenék Beneš trat die Didaktik aus dem Klassenzimmer heraus in den öffentlichen Raum, sie wandte sich benachbarten Feldern der Geschichtskultur zu – der bildenden Kunst, der Literatur, der Politik usw. Eine Reihe von Vorträgen widmete sich empirischen Problemem, die der Geschichtsunterricht in der Schule aufwirft. Einige Referenten sparten nicht an Kritik am gegenwärtigen Unterricht in Tschechien, besonders wenn dieser sich der Zeitgeschichte zuwendet. Allerdings waren weniger die Schulbücher Zielscheibe der Kritik. Sie wurden im Einzelfall sogar besonders gewürdigt. Zahlreiche Verbesserungsvorschläge wurden in der Diskussion unterbreitet. Als besonders erfreulich wurde festgehalten, dass sich die Geschichtsdidaktik in den regionalen Universitäten der Tschechischen Republik in den letzten Jahren dynamisch entwickelte, was man auch an wissenschaftlichen Projekten und empirischen Forschungen ablesen könne.
Aufgrund der Tatsache, dass die veranstaltende Hochschule sich auf tourismusspezifische Ausbildungsgänge spezialisiert hat, wurden in einer eigenen Sektion auch Fragen der Geschichte des Tourismus verhandelt. Diese Thematik ist in der tschechischen Historiographie relativ neu und so musste auch methodologisch Neuland betreten werden. Es wurden Analysen zum Stellenwertes des Tourismus vorgelegt und seine gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung diskutiert. Eine hervorragende Rolle spielte dabei die Frage, wie man die Geschichte des Tourismus im Lehre und Unterricht präsentieren und aufbereiten kann. Die Geschichte des Tourismus ist Teil der Migrationsgeschichte und damit zweifellos ein zentraler Aspekt der allgemeinen Geschichte. Menschen sind zu allen Zeiten aus verschiedensten Gründen migriert. Das Aufsuchen entfernter Länder und Zivilisationen kann unter wirtschaftsgeschichtlichen wie auch mikrogeschichtlichen Aspekten betrachtet werden. Zu diesen Fragen wurde ein inspirierendes Referat von Professor H.J. Spode (Freie Universität Berlin) vorgetragen, in dem „Tourismus“ als eine eigenständige Kategorie apostrophiert und ihr eine anthropologische Dimension zugesprochen wurde.
Die Beiträge der Konferenz wurden in einer Festschrift im Jahr 2009 einem größeren Publikum vorgestellt. In einem englischsprachigen achtseitigen Resümee werden die Autoren und und die Hauptthesen ihrer Referate vorgestellt. Neben einem Einleitungsaufsatz zum Œuvre von Professor Vratislav Čapek enthält der Band ein Verzeichnis seiner Publikationen – mehr als zweihundertfünfzig Titel, davon 35 Monographien und neunzig im Ausland erschienene.
Bibliographische Angaben:
Jan Štemberk, Miroslava Manová u.a. (Hrsg): Historie a cestovní ruch. Perspektivní a podnětné spojení [Geschichte und Tourismus – Perspektive und hoffnungsvolle Verbindung]. Pocta profesoru Vratislavu Čapkovi k 85. narozeninám. Praha: Vysoká škola obchodní 2008. 324 S.
Redaktion (ALF)